So will die Linke die Wohnungsnot im Kreis Stade bekämpfen

Armutskonferenz

Björn Vasel Stader- Buxtehuder / Stader Tageblatt

Zu wenige Sozialwohnungen, zu lange Schlangen vor den Tafeln: Bei der ersten Armutskonferenz der Linken im Kulturforum in Buxtehude wird harsche Kritik an der Politik laut. Die Teilnehmer fordern, die Wohnungsnot zu bekämpfen – und unterbreiten konkrete Vorschläge.

Die Stadt Buxtehude investiert mehr als 20 Millionen Euro in den Neubau der Sporthalle Nord. Für Ursula Reinke vom Sozialverband ist das ein Skandal: „Armutsbekämpfung ist für große Teile der Politik kein Thema.“ Doch das will sie nicht kampflos hinnehmen. Deshalb hat sich Ursula Reinke als Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Buxtehude am Sonnabend bei der ersten Armutskonferenz der Linken im Kulturforum eingebracht. Deutschlandweit gelten 14 Millionen Menschen als arm, sagte Anissa Heinrichs von der Bundestagsfraktion.

Das seien, so die Referentin der Fraktion, laut dem Armutsbericht des Paritätischen 600.000 Menschen mehr als vor der Pandemie. Die Armutsquote betrage 16,6 Prozent. Rund ein Viertel der Alleinlebenden und der Personen aus Alleinerziehenden-Haushalten leben in Armut, so Heinrichs mit Verweis auf das Statistische Bundesamt.
Jedes fünfte Kind lebt laut Bundesamt heute in Armut

Der Schwellenwert für Armutsgefährdung liegt in Deutschland bei 1251 Euro netto im Monat – für eine Einzelperson. Bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren beträgt der Schwellenwert 2627 Euro im Monat. Dass ein so reicher Staat wie Deutschland so wenig für die Armutsbekämpfung unternehme, ist für die Linke Heinrichs ein Armutszeugnis. „20 Prozent der Kinder leben in Deutschland in Armut“, klagte die Sozialistin. Das seien letztlich Zustände wie in einem Entwicklungsland.

Auf der Ebene der großen Politik setze die Partei deshalb auf ein Mindesteinkommen von 1200 Euro, eine eigenständige Kindergrundsicherung von 650 Euro und die Vermögensabgabe.

„Arme haben keine große Lobby“, sagte die Vorsitzende des SoVD, die frühere Gleichstellungsbeauftragte der Hansestadt Buxtehude, Ursula Reinke. Sie verwies auf den Armutsschatten, den auch der Mittelstand mit sich trage. Krankheit, Scheidung, Rente oder Arbeitslosigkeit – häufig drohe die Armut. Und die könne jeden treffen, Frauen allerdings mehr als Männer. Menschen mit Behinderungen seien stark armutsgefährdet.

Schlangen vor Tafeln sind „ein Warnzeichen“

Buxtehudes Behindertenbeauftragter Jens Nübel nannte ein Beispiel. In der Altersgruppe 26 bis 29 Jahre lebten 27,8 Prozent der Behinderten in Armut – jedoch nur 13,5 der Nichtbehinderten. Es fehlten auch barrierefreie, bezahlbare Wohnungen, mahnten Nübel und eine Altenpflegerin an. „Wie soll ich mir später mit meiner Rente von 870 Euro eine Wohnung leisten können?“

Die Armut müsse „raus aus der Schmuddelecke“, mahnte Reinke. Sie bedauerte, dass auch die Kommunalpolitik – eigentlich nahe bei den Menschen – zu wenig tue. Dabei gehöre beispielsweise in Buxtehude fast jeder fünfte Haushalt zum Niedrigeinkommensbereich – knapp 3300 Haushalte. Die Schlangen vor den Tafeln seien ein Warnzeichen, in Stade habe sich die Zahl der Kunden verdreifacht und in Buxtehude verdoppelt.

Sozialwohnungen fehlen nicht nur im Kreis Stade

Immer weniger Menschen könnten sich heute eine Wohnung leisten, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Stader Kreistag und im Buxtehuder Stadtrat, Benjamin Koch-Böhnke. Und das Problem verschärfe sich.

„Rein rechnerisch verschwindet alle 19 Minuten eine Wohnung vom Sozialwohnungsmarkt, aber nur alle 25 Minuten kommt eine hinzu“, rechnete der Wohnungsbaupolitische Referent der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, Michael Joho, vor. 1,1 Millionen Sozialwohnungen gebe es bundesweit, doch rund 23 Millionen Menschen wären laut Mieterbund berechtigt, in geförderten Wohnungen zu leben. In Buxtehude habe sich die Zahl der Sozialwohnungen auf 330 reduziert, 2013 waren es noch 655. Doch es werde nicht ausreichend angemietet oder gebaut.

Dabei habe die Pestel-Studie bereits im Jahr 2017 einen Bedarf von 3000 Sozialwohnungen allein in Buxtehude gesehen. Doch mit einem Anteil von weniger als einem Drittel an den 500 neuen seien die günstigeren Wohnungen in der Giselbertstraße nur ein Tropfen auf den heißen Stein. SPD, CDU und FDP – alle hätten blind auf den Markt vertraut. „Doch der Markt richtet es nicht, wir benötigen eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Mehr bezahlbarer Wohnungsraum, das ist auch Armutsbekämpfung“, sagte Koch-Böhnke.

Bedenklich sei, dass Mieter aus dem Niedrig-Einkommen-Bereich bereits bis zu 42,6 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssten. Tendenz steigend. In der Metropolregion Hamburg hätten laut Haspa-Trendbarometer – mit Blick auf den Wohnungsmangel und die steigenden Miet- und Energiekosten – 42 Prozent der Befragten „Angst vor Wohnungsverlust“, sagte Joho. In Hamburg gebe es 70 Bewerber pro Annonce. Hamburg, das die höchste Millionärsdichte Deutschlands aufweise, sei mit fast 25.000 Wohnungslosen die „Hauptstadt der Wohnungslosigkeit“.

4000 Menschen lebten in Hamburg auf der Straße, berichtete Isabel Kohler, Sozialarbeiterin bei Hinz&Kunzt. Für sie steht fest: Der Staat betreibe heute lediglich „eine Armutsverwaltung und keine -bekämpfung“. Sozialleistungen und Einkommen seien zu gering. Wer seine Wohnung verliere, dem drohe der Absturz. Dabei habe sich Deutschland – wie die Europäische Union – mit dem Nationalen Aktionsplan bereits auf die Fahnen geschrieben, die Wohnungsnot und -losigkeit bis 2030 zu beenden.


Projekt aus Schleswig als Vorbild für Buxtehude?

Rund 24 Wohnungslose leben im Schnitt in Buxtehude in städtischen Unterkünften Die Linke will nicht nur in Buxtehude ein Housing-First-Konzept auf den Weg bringen. Das Projekt war im Januar im Sozialausschuss bereits vorgestellt worden.

Die Blaupause für Buxtehude könnte ein Projekt von Diakonie und Hempel-Stiftung in Schleswig werden, das Reiner Braungard aus Schleswig-Holstein, einst Vorstand einer Wohnungsbaugenossenschaft und Prokurist der Evangelischen Stadtmission, bei der Konferenz vorstellte. Der Ansatz: Wohnungslose kommen sofort in einer Mietwohnung unter – und werden (auf Wunsch) unterstützt. Dadurch werde „eine soziale Ausgrenzung vermieden“ und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Die Buxtehuder Verwaltung hat Kontakt zu Braungard.

Die Anregung des Behindertenbeauftragten Nübel, die Armutskonferenz im nächsten Jahr parteiübergreifend auf die Beine zu stellen, will die Gruppe Die Linke/Die Partei in den Rat tragen, so Clemens Ultsch. Koch-Böhnke: „Armut darf nicht als unabwendbares Übel hingenommen werden. Wir müssen die Armut verhindern, bekämpfen und überwinden.“ Er hoffe jetzt auf mehr Unterstützung – in Rat und Kreistag.