Linke-Antrag: Die Geschichte der NS-Opfer in Buxtehude aufarbeiten / Tageblatt & Wochenblatt

Die Geschichte der NS-Opfer aufarbeiten

Von Anping Richter ( Buxtehuder/ Stader Tageblatt )

BUXTEHUDE. Ein dunkler Teil der Buxtehuder Geschichte soll beleuchtet werden: Der Kulturausschuss spricht sich einstimmig dafür aus, Stadtarchivarin Eva Drechsler zu beauftragen, die Geschichte der Opfer des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Es geht auch um ein würdiges Gedenken.

Der Ort der ewigen Ruhe liegt zwischen zwei viel befahrenen Straßen: Rechts und links brausen unentwegt Autos vorbei. Dazwischen, unter den hohen Bäumen des stillgelegten und etwas verwilderten Friedhofs Stader Straße, sind drei Opfer des Nationalsozialismus begraben. Die Inschrift auf ihrer Grabplatte ist teilweise überwuchert und mit Laub bedeckt, doch mit etwas Mühe lassen sich die Namen von drei Menschen entziffern: Die polnische Zwangsarbeiterin Anna Turowiczka war 18 Jahre, der sowjetische Kriegsgefangene Euzstachy Parfinuk 53 und der jugoslawische Kriegsgefangene Mesnel Osmann 38 Jahre alt, als sie in Buxtehude starben.

Ihr Grab und die Gedenkplatte zu finden, ist nicht ganz einfach, aber Benjamin Koch-Böhnke, Ratsherr der Linken in Buxtehude, und der Stader Michael Quelle, der sich seit Jahren dem Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus widmet, haben sich die Mühe gemacht.

Koch-Böhnke: „Gedenkstätte sollte ins Auge fallen“

„Eine Gedenkstätte sollte ins Auge fallen und nicht lange gesucht werden müssen“, sagte Koch-Böhnke im Buxtehuder Kulturausschuss. Seine Fraktion hatte beantragt, die Grabstelle auf dem Friedhof Stader Straße künftig regelmäßig zu pflegen. Und sie fordern, dass an Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, deren Namen bereits vorliegen, in würdiger Form erinnert wird, zum einen durch eine Aufarbeitung durch das Stadtarchiv und die Erstellung eines Buches, zum anderen beispielsweise durch eine Gedenktafel oder Stele am Stadthaus oder Rathaus.

Unter den bisher namentlich bekannten Opfern sind Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, deren Kinder und auch im Namen der sogenannten „Euthanasie“ ermordete behinderte Menschen sowie Buxtehuder, die als Opfer des Nationalsozialismus an anderen Orten starben. Auch auf dem Friedhof Ferdinandstraße findet sich eine Grabstelle mit mehreren Namen, allerdings in gepflegtem Zustand.

Gedenktafel mit QR-Code

Wie die Buxtehuder Stadtarchivarin Eva Drechsler berichtet, ist sie darüber seit einem Jahr intensiv im Austausch mit Michael Quelle. Eine Stele oder Gedenktafel könne mit einem QR-Code versehen werden, um ergänzende Informationen über die Menschen, an die erinnert werde, verfügbar zu machen.

„Wir wollen erst recherchieren, uns dann orientieren und uns dann um die Form des Gedenkens kümmern“, kommentierte Christel Lemm (SPD) den Antrag der Linken. Auch Susi Milewski (CDU) wollte erst abwarten, was sich aus dem ersten Schritt der Recherche ergebe. Benjamin Koch-Böhnke war einverstanden, seinen Antrag so zu modifizieren, dass zuerst der Auftrag an das Stadtarchiv zur Aufarbeitung und Dokumentation erteilt werden soll. Ob diese später tatsächlich in Buchform zusammengefasst und mit Stele oder Tafel gedacht werde, soll dann entschieden werden. Diesem Antrag folgte der Ausschuss einstimmig. Die Pflege der Grabstelle auf dem Friedhof Stader Straße beauftragten die Politiker einhellig sofort.

Buxtehude: Antrag der Linken zum Gedenken an die NS-Opfer

Autor: Tom Kreib ( Neue Buxtehuder / Stader Wochenblatt)

Antrag der Linken könnte eine überfällige Diskussion in Gang setzen

tk. Buxtehude. Die Fraktion der Linken hat beantragt, dass an Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Buxtehude erinnert werden soll. „Wir brauchen eine breitere Erinnerungskultur“, begründet die Fraktion ihren Antrag. Zudem setze das in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus ein Zeichen für eine offene und liberale Stadt.

So seien fünf sowjetische Kriegsgefangene namentlich bekannt, die auf dem Friedhof Ferdinandstraße begraben sind. Dort wurde auch die die erst einjährige Rita Valters beerdigt, die Tochter einer lettischen Zwangsarbeiterin gewesen sein soll. An der Ferdinandstraße liegen außerdem Dimitry Semenov (gestorben mit 25), Egor Kramarenko (28), Michael Uchanow (25) und Dmitry Bezduganov (35). Drei der Zwangsarbeiter kamen bei einem Fliegerangriff im Juni 1944 ums Leben. Weitere drei tote Zwangsarbeiter sind auf dem Friedhof an der Stader Straße bestattet worden.

Die beiden Linken-Ratsherren Klemens Kowalski und Benjamin Koch-Böhnke betonen: „Dieser Teil unserer Stadtgeschichte muss stärker in den Fokus gerückt werden.“
Experte für die Opfer des Nationalsozialismus im Landkreis Stade ist Michael Quelle. Er macht sich für eine Erinnerungskultur an die NS-Opfer stark, sagt aber auch: „Vorher muss die Erforschung kommen.“ Denn: Beim aktuellen Antrag der Linken würden viele, die eindeutig Opfer der Nazis waren, gar nicht erwähnt. Zum Beispiel Waldemar Peters, Dorothea Schultz und Margarethe Meyer, die Opfer der Euthanasie wurden. Außerdem fehlt auch der Zwangsarbeiter Johann Puk (1903-1943), der laut Quelles Forschungen exemplarisch öffentlich aufgehängt wurde, um damit andere Zwangsarbeiter einzuschüchtern.

Tatsache ist: Die Zeit der NS-Herrschaft ist in Buxtehude bislang nicht erforscht worden. Als im Jahr 2005 in der Politik erbittert über das Erinnern an den kommunistischen Widerstandskämpfer Rudolf Welskopf gestritten wurde, sollte es eigentlich im Anschluss eine Aufarbeitung der Jahre 1933 bis 1945 geben. Das ist bis heute unterblieben. Einstimmig hatte der Rat beschlossen, an die Opfer der Hexenverbrennung in Buxtehude zu erinnern.

KOMMENTAR:
Das Erinnern angehen
Ein weit zurückliegendes dunkles Kapitel der Stadtgeschichte, das gut erforscht worden ist. Die Bereitschaft, sich zu erinnern und für Verbrechen aus der Vergangenheit auf eine symbolische Art Verantwortung zu übernehmen, ist also da. Über die Zeit der Nazi-Herrschaft gibt es dagegen nicht einmal eine halbwegs umfassende Darstellung. Warum? Wer an die Opfer erinnern will, muss auch über die Täter reden. Und die kamen auch aus dieser Stadt. Das scheint, wie in vielen anderen Städten und Dörfern auch, ein Hemmnis für die längst fällige Aufarbeitung zu sein.

Warum wird nicht endlich das Erinnern an dieses Kapitel der Stadtgeschichte angepackt? Das könnte, zumindest als Auftakt, eine Gruppe von Geschichts-Studierenden übernehmen, die daraus ein größeres Projekt initiieren könnten. Auch darüber wurde schon beim Welskopf-Streit im Jahr 2005 nachgedacht. Passiert ist bislang nichts und das ist schlecht.
Tom Kreib