Giftige Chemikalien in Trinkhalmen und Einweg-Geschirr aus Papier

Stader / Buxtehuder Tageblatt

Diese Messergebnisse lassen aufhorchen: Plastik ist verboten, doch die vermeintlich bessere Alternative aus Bambus und Papier ist oft keine. Es geht erneut um PFAS – Chemikalien, die auch schon im Landkreis Stade für Nachfragen sorgten.

Statt der verbotenen Strohhalme aus Plastik gibt es in vielen Restaurants inzwischen Exemplare aus Papier. Die allerdings können für Umwelt und Gesundheit ebenfalls schädlich sein, warnt ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Food Additives & Contaminants: Part A”. Viele vermeintlich umweltfreundliche Trinkhalme aus Papier oder Bambus enthalten demnach langlebige und potenziell giftige Chemikalien, sogenannte PFAS. Der Verkauf von Plastik-Trinkhalmen ist seit 3. Juli 2021 in der EU verboten.

Die Gruppe um Thimo Groffen von der Universität Antwerpen hatte Trinkhalme von 39 in Belgien erhältlichen Marken untersucht. In 18 von 20 getesteten Papier-Halmen wurden PFAS nachgewiesen. Auch in vier von fünf Bambus-Halmen, drei von vier Plastik-Halmen und sogar in zwei von fünf Glas-Trinkhalmen wiesen die Wissenschaftler solche Substanzen in unterschiedlicher Menge nach. Lediglich in Halmen aus Edelstahl waren keine PFAS zu finden.

Vom Strohhalm ins Getränk

PFAS – per- und polyfluorierte Alkylverbindungen – werden unter anderem verwendet, um Papier-Halme vor Durchnässung zu schützen. Die Studienautoren heben hervor, dass die potenziell gefährlichen Substanzen aber nicht unbedingt bewusst im Herstellungsprozess zugesetzt worden sein müssen. Sie könnten auch durch verunreinigtes Ausgangsmaterial oder Prozesswasser ins Produkt gelangen.

Die Forscher fanden mittels eines speziellen Massenspektrometrie-Verfahrens unter anderem Trifluoressigsäure und Trifluormethansulfonsäure. „Beide Chemikalien sind gut wasserlöslich, so dass die Gefahr besteht, dass sie vom Strohhalm in das Getränk übergehen”, erläutern die Forscher. Ob und in welchem Umfang diese und andere PFAS aus den Trinkhalmen vom Menschen aufgenommen werden, müsse nun genauer untersucht werden.

PFAS sorgen im Landkreis Stade für Aufregung

Potenziell giftige Chemikalien der PFAS-Gruppe waren zuletzt an 45 Orten in Niedersachsen nachgewiesen worden – auch in Flüssen im Landkreis Stade. PFAS sind weit verbreitet, langlebig, potenziell krebserregend und gesundheitsschädlich, aber in der Breite noch gar nicht untersucht. Doch sie kommen in vielen technischen Prozessen und Konsumprodukten zur Anwendung: in Feuerwehr-Löschschaum, Teflon-Pfannen, bei der Herstellung von Papier, Textilien oder Kosmetika.

Im Kreis Stade wurden PFAS-Rückstände an mehreren Messstellen nachgewiesen: an der Elbe bei Stade, Hollern-Twielenfleth und Bützfleth, aber auch an der Lühe-Aue. 

Einige Hundert dieser Verbindungen sind bereits verboten, aber viele der derzeit legal eingesetzten PFAS sind hinsichtlich ihrer möglichen Gefahren für Umwelt und Gesundheit noch nicht ausreichend charakterisiert, während ihre Langlebigkeit und Verbreitung in der Umwelt unbestritten ist.

Im Kreistag läuft derzeit eine Anfrage, Experten sollen gehört werden. „Wir sind Obstbaugebiet, viele baden gerne in der Elbe, ich auch“, hatte Benjamin Koch-Böhnke, Fraktionsvorsitzender der Linken erklärt.

Halme und Einweg-Geschirr: Auch aus Papier oft mit schädlicher Chemie

„Strohhalme aus pflanzlichen Materialien wie Papier und Bambus werden oft als nachhaltiger und umweltfreundlicher beworben als solche aus Kunststoff”, sagte Groffen. „Das Vorhandensein von PFAS in diesen Strohhalmen bedeutet jedoch, dass das nicht unbedingt stimmt.” Geringe Mengen PFAS seien an sich zwar nicht schädlich, könnten aber die bereits im Körper vorhandene chemische Belastung erhöhen. „Die nachhaltigste Alternative scheinen Strohhalme aus Edelstahl zu sein, die wiederverwendet werden können, keine PFAS enthalten und vollständig recycelt werden können”, lautet die Schlussfolgerung des Teams.

Mit Papierbechern als Ersatz für Einweg-Plastikbecher hat sich ein Forschungsteam der Universität Göteborg beschäftigt. Da Papier weder fett- noch wasserbeständig ist, muss es bei Verwendung als Verpackungsmaterial für Lebensmittel mit einer Oberflächenbeschichtung versehen werden. Oft besteht diese Kunststofffolie aus Polylactid (PLA), einer Art Biokunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais.

Mikroplastik aus Biokunststoffen

„Lebensmittelverpackungen auf Papierbasis können hohe Mengen an per- und polyfluorierten Alkylverbindungen enthalten”, heißt es in der Studie unter anderem. Der Effekt war umso größer, je länger das Material im Wasser oder Sediment gelegen hatte. „Biokunststoffe enthalten mindestens genauso viele Chemikalien wie herkömmliche Kunststoffe”, sagte Carney Almroth. Zudem bauten sich Biokunststoffe sich nicht effektiv ab, daraus resultierendes Mikroplastik werden von Lebewesen aufgenommen wie bei anderen Kunststoffen auch.

„Auch Papierverpackungen stellen im Vergleich zu anderen Materialien ein potenzielles Gesundheitsrisiko dar, und sie werden immer häufiger verwendet”, betonte die Wissenschaftlerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien Wegwerfprodukte auf den Markt gekommen und in großen Kampagnen beworben worden – von diesem falschen Weg müsse die Menschheit nun wieder weg. Es gelte, sich vom Wegwerf-Lebensstil zu verabschieden – für die Umwelt und für die eigene Gesundheit.

Diskussion um Verbot von kontroversen PFAS-Chemikalien

Einige PFAS sind bereits weitgehend verboten, weil sie als gefährlich gelten. „Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern”, heißt es von der Europäischen Umweltagentur (EEA). Von den allermeisten PFAS weiß man noch gar nicht, wie sie auf Mensch und Umwelt wirken. Viele Fachleute gehen davon aus, dass zumindest ein Teil negative Eigenschaften hat.

Große deutsche Industrieverbände warnen vor einer Gefährdung der EU-Klimaziele bei einem umfassenden PFAS-Verbot. Kein Windrad, kein E-Auto, kein Energiespeicher, keine Halbleiter – ohne PFAS-Chemikalien ließen sich Schlüsseltechnologien auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht produzieren, hieß es in einer Mitteilung von Autoindustrie (VDA), Maschinenbau (VDMA) sowie Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädiert für einen differenzierten Umgang mit der Chemikaliengruppe. Habeck sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt. Konkret heiße das: Da, wo diese Chemikalien nicht sicher für Mensch und Umwelt verwendet werden und gut durch andere Stoffe ersetzt werden können, sollten wir den schnellen Ausstieg befördern. Das gilt vor allem da, wo sie verbrauchernah eingesetzt werden.”

Zugleich dürfe aber nicht die Erneuerung der Industrie gefährdet werden, warnte der Grünen-Politiker. PFAS spielten eine zentrale Rolle für Technologien der Zukunft wie Halbleiter, Elektrolyseure und elektrische Antriebe. „Hier lassen sich PFAS auch nicht einfach ersetzen und hier dürfen wir die Entwicklung von Technologien nicht durch Überregulierung verhindern, zumal der Einsatz in geschlossenen Systemen in der Produktion erfolgt.”

Die Präsidentin des Automobilverbandes VDA, Hildegard Müller, warnte, ein pauschales PFAS-Verbot drohe zum „Klimaschutz-Boomerang” zu werden. Ohne die Chemikalien seien heute weder die bestehenden Fahrzeuge noch zukünftige Fahrzeugtechnologien denkbar. Maschinenbau-Präsident Karl Haeusgen zufolge wären „viele grüne Technologien, von Windenergieanlagen über die Wasserstofferzeugung bis hin zur Produktion von Brennstoffzellen” gefährdet. (dpa)