Jeder zweite Politiker wird Opfer von Hass und Hetze

Von Björn Vasel Buxtehuder / Stader Tageblatt

Die Hälfte der Bürgermeister und (Kommunal-)Politiker ist bereits Opfer von Hass, Hetze und Gewalt geworden. Das rät der Experte vom Polizeilichen Staatsschutz bei einer Veranstaltung in Stade.

Der Buxtehuder Kommunalpolitiker Benjamin Koch-Böhnke (Linke) brachte der Polizei einen Stapel anonymer Drohpostkarten mit, auf einer wurde Bezug auf die Ermordung des schwedischen Sozialdemokraten Olof Palme im Jahr 1986 genommen. Er sieht sich bedroht.

„Erschreckender Trend“

Eine wehrhafte Demokratie müsse gegen Hass und Hetze vorgehen – auch strafrechtlich. Tätliche Angriffe, Nötigung, Angst und Einschüchterung dürften keine Mittel politischer, gesellschaftlicher Auseinandersetzung sein, sagte Sebastian Rauba vom Polizeilichen Staatsschutz, er sprach im Kreishaus bei einer Infoveranstaltung für Amts- und Mandatsträger von einem „erschreckenden Trend“.

Die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten steigt bundesweit seit Jahren – von 2000 (2019) auf mehr als 6000 im Jahr 2021. Diese gehen unter anderem auf das Konto von Querdenkern, von Reichbürgern, von Rechts- oder Linksextremisten oder von Corona-Skeptikern. Halbjährlich werden Amts- und Mandatsträger befragt; Daten aus dem Monitoring von Bundeskriminalamt und Spitzenverbänden werden regelmäßig veröffentlicht. Laut dem niedersächsischen Innenministerium war 2021 laut Polizeistatistik ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen, 1161 Fälle wurden registriert. In Niedersachsen habe jeder zweite Kommunalpolitiker bereits digitale Gewalt, ein Viertel der Beschäftigten Übergriffe erlebt. „Der Ton ist rauer geworden“, sagte Rauba.

Hass und Hetze – heute überwiegend über das Internet verbreitet – gingen nicht spurlos an Bürgermeistern oder Politikern vorüber: 81 Prozent der Befragten sagen, dass Diffamierungen und Bedrohungen psychische und physische Folgen haben. „Einige stellen infrage, ob sie wieder kandidieren“, berichtete Rauba und mahnte im Kreishaus: „Das gefährdet die Demokratie.“ Doch lediglich 14 Prozent der Betroffenen stellen Strafanzeige, sagte der Polizist. Wenn auch Angehörige bedroht werden, liegt die Anzeigequote bei 28 Prozent. Sein Appell lautet: „Immer dokumentieren und anzeigen“ – frei nach dem österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper, keine Toleranz gegenüber der Intoleranz.
Gesetze wurden verschärft – Internet kein rechtsfreier Raum

Das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Zum Schutz von Amts- und Mandatsträgern habe der Staat mehrere Gesetze verschärft. Der Paragraf 188 im Strafgesetzbuch soll jetzt auch Kommunalpolitiker als „Personen des politischen Lebens“ vor Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung schützen, Verurteilten drohen Geld- und Freiheitsstrafen. Auch das Verbreiten von „Feindeslisten“ ist mittlerweile eine Straftat. Allerdings spielen nicht alle mit. Facebook klagt und weigert sich bislang, IP-Adressen proaktiv an Staatsanwaltschaften herauszugeben. Die Polizei habe allerdings bereits einige Verfahren erfolgreich geführt.
Harsefelder verurteilt

So wurde ein Harsefelder (53) zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte in Anspielung auf die Euthanasie-Morde der Nazis über einen Politiker geschrieben: „Lebewesen wie … wurden früher mit ihrer geistigen Behinderung irgendwo behandelt. Heute sitzen sie in der Politik. Wie sich die Zeiten ändern.“ Und auch, wer das „Z“ als Unterstützung für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zeigt, muss Justitia fürchten, das wäre Billigung einer Straftat. Wer sich bedroht fühle, solle 110 wählen. Und: Oft schaffe schon polizeiliche Intervention eine Abhilfe. Auf Wunsch gibt es Tipps für die Sicherheit der Wohnung durch Beamte der Polizeiinspektion Stade.

Schweigen gefährdet die Demokratie

Bestseller-Autor Hasnain Kazim hat sich nicht unterkriegen lassen, er begegnete dem Hass mit seinen Büchern – wie „Post von Karlheinz“ – auch mit Humor. Dabei gebe es eigentlich nichts zu lachen. Denn mit Thilo Sarrazin sowie der AfD und den Rechtsextremisten und Querdenkern in ihren Reihen seien Hass und Hetze in die Mitte der Gesellschaft vorgerückt. Das sei nicht hinnehmbar. Der Journalist sagt: „Wenn wir schweigen, beginnen wir, den Hass zu akzeptieren.“ Auch er plädiere für eine Null-Toleranz-Strategie. Schon seine Stader Französischlehrerin habe ihm gesagt: „Lass dich niemals von solchen Leuten einschüchtern.“

Beleidigungen, Hass und „Feindeslisten“

Pauline Meyer: Neue Buxtehuder / Neue Stader

Eine Postkarte, bunt beklebt, wie das Erpresser-Schreiben in einem schlechten Krimi: Schon zwei dieser anonymen Nachrichten erhielt Benjamin Koch-Böhnke von den Linken, adressiert an seine private Anschrift. Mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln nimmt der unbekannte Verfasser Bezug auf den Tod von Lady Diana und den des schwedischen Politikers Olof Palme, der 1986 auf offener Straße erschossen wurde. Die absenderlosen Postkarten lassen sich als Drohung verstehen.

Doch wie sollen Politiker mit derartigen Angriffen umgehen? Politisch motivierte Straftaten haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Drohungen, Hasskommentare und Beleidigungen stehen für viele Bürgermeister, Ratsmitglieder und Abgeordnete auf der Tagesordnung. Der Staatsschutz der Polizei Stade lud deshalb Kommunalpolitiker aus dem Landkreis Stade am Dienstag zur Infoveranstaltung „Sicherheit von Amts- und Mandatsträgern“ ein. Sebastian Rauba vom Staatsschutz führte durch die Veranstaltung. Von Spiegel-Bestseller-Autor Hasnain Kazim, der als Gastredner dabei war, erhielten die Teilnehmer einen pointierten Erfahrungsbericht, in dem Kazim über seine Erlebnisse mit Hasskommentaren berichtete.

Dass die politisch motivierten Taten zunehmen, zeigt sich durch das Kommunale Monitoring, einer bundesweiten halbjährig durchgeführten Befragung durch Wissenschaftler, erklärte Sebastian Rauba auf der Infoveranstaltung. So erlebten 46 Prozent der befragten Amts- und Mandatsträger im vergangenen halben Jahr Anfeindungen. 81 Prozent davon gaben an, auch negative psychische oder physische Folgen davongetragen zu haben. Das kann in milden Fällen eine Konzentrationsschwäche sein, sich in extremeren Fällen auch bis hin zur Angststörung entwickeln. „Der Ton ist rauer geworden“, so Rauba. Das zeige sich besonders im Internet.
In der Anonymität des Internets

Mit dem Internet kam der leichte Zugang zu Daten, E-Mail-Adressen und sogar privaten Hausanschriften. Die Anonymität des Word Wide Webs bot Nährboden für Hass, Hetze und Beleidigungen. Mit einem Klick kann seinem Ärger Luft gemacht werden, strafrechtliche Verfolgung gab es lange Zeit kaum. Das bekamen insbesondere Politiker zu spüren. Den traurigen Höhepunkt fand die Radikalisierung in der Ermordung des Landrats Rüdiger Butte, der 2013 in seinem Büro in Hameln-Pyrmont erschossen wurde, nachdem sein Name bereits etliche Jahre auf einer „Feindesliste“ im Internet kursierte. Solche Listen enthalten oftmals Namen und Adressen von Amts- und Mandatsträgern oder Journalisten und rufen indirekt zum „Besuch“ auf, erklärte Sebastian Rauba. Kaum zu glauben, aber bis 2021 war das nicht strafbar. Erst vergangenes Jahr wurde das Strafrecht hinsichtlich Sicherheit und Wahrung privater Rechte verschärft. So kann jetzt bei ausreichender Begründung eine Auskunftssperre erwirkt werden, durch die keine personenbezogenen Daten mehr an Dritte herausgegeben werden dürfen. Auch eine Meldepflicht der sozialen Netzwerke wurde beschlossen. Instagram, Facebook und Co. müssen so beispielsweise die IP-Adressen straffällig gewordener Nutzer von sich aus an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. So zumindest in der Theorie, denn derzeit klagt Facebook gegen den Gesetzesbeschluss. „Wer im Internet unterwegs ist, unterwirft sich den Spielregeln anderer, es ist aber kein rechtsfreier Raum“, erklärt Sebastian Rauba. Mit der Radikalisierung in den sogenannten Massenchats hat die Polizei immer wieder zu tun. Auch hier werden Namen, Adressen und „Feindeslisten“ geteilt.

Hasnain Kazim über Rassismus und Hass

Auf einer „Feindesliste“ fand sich auch Spiegel-Besteller-Autor Hasnain Kazim wieder. Sein Leben lang begegnen Kazim Rassismus und Beleidigungen, seine ersten Hass-Briefe erhielt der damals 17-Jährige, nachdem er sich in einem Kommentar in einer Zeitung Fremdenhass entgegenstellte. Sieben hasserfüllte und rassistische Zuschriften erreichten Hasnain Kazim damals in seinem Jugendzimmer in Hollern-Twielenfleth. Sie waren der Anfang einer langen Liste an Kommentaren, E-Mails, Briefen und Zuschriften, die Kazim in seiner Laufbahn als Journalist und Autor erreichen sollten. Zu Herzen genommen hat er sich vor allem den Rat seiner Lehrerin, der er sich nach seinen ersten sieben Zuschriften anvertraute: Sich niemals unterkriegen zu lassen. So ließ er sich auch 2016, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, nicht durch die sich vermehrt anhäufenden rassistischen Beleidigungen einschüchtern. Er beschloss, von nun an zwei Jahre lang jedem zu antworten, der ihm schrieb. Mit sarkastisch-zynischem Unterton begegnete Kazim seinen „Hatern“, die meist verwundert waren, dass überhaupt etwas zurückkam. Nachzulesen ist das in seinem Buch „Post von Karlheinz“, in dem die absurd-komischen Dialoge festgehalten sind. „Die Leute brauchen Erziehung“, erklärt Hasnain Kazim auf der Infoveranstaltung der Polizei. Doch nicht bei jedem bringe das etwas. „Manche Leute wollen Frust ablassen, manche äußern ihre inhaltliche Kritik durch Beleidigungen, aber manche sind einfach waschechte Rassisten“, so Kazim.

Unberührt bleibt kaum jemand von so viel Hass und verbalen Attacken. Obwohl Politiker oftmals hartgesottene und selbstbewusste Persönlichkeiten sind, wirkt sich die tägliche Konfrontation auf die Psyche aus. „Das macht etwas mit einem“, bestätigt Rauba, der Betroffenen rät, sich Hilfe zu holen und sich über das Erlebte auszutauschen. Ganz besonders, wenn es um die Sicherheit der Angehörigen geht, bringen die meisten Opfer Drohungen und Hasskommentare eher zur Anzeige.
Haben auch Sie Hass erlebt?

Sind Sie ein Amts- oder Mandatsträger im Landkreis Stade und haben Erfahrungen mit Hasskommentaren, Beleidigungen oder Drohungen gemacht? Teilen Sie Ihre Erlebnisse mit unseren Lesern, auf Wunsch auch gerne anonymisiert. Senden Sie eine E-Mail an pauline.meyer@kreiszeitung.net.