Tageblattartikel von der Pflegekonferenz der Linken-Kreistagsfraktion im Stadeum

Unser herzlichen Dank gilt den vielen Pflegekräften und ihrer regen Beteiligung an unserer Pflegekonferenz.

Sowie folgenden Referenten:

Zaklin Nastic                Bundestagsabgeordnete

Erika Cerzny-Gewalt  Verdi-Gewerkschaftssekretärin

Siegfried Ristau          Geschäftsführer der  Elbe-Klinikum Stade/Buxtehude GmbH

Per Röscher                 Rettungsdienst

Kai Holm                      Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Elbe-Klinikum Stade/Buxtehude GmbH

Christoph  Kranich    „Hamburger-Bündnis für mehr Personal in den Krankenhäusern“

 

Die in einem Workshop von den Pflegekräften erarbeiteten Forderungen, werden in Form von Anträgen und Anfragen wieder zurück in Kreistag eingebracht werden. Die Arbeitsergebnisse sehen wir als Auftrag an die Politik.

 

Danke für die gute Zusammenarbeit.

 

Auch der Klinik-Manager sieht Pflege in Not

Von Wolfgang Stephan  (Buxtehuder / Stader Tageblatt)

LANDKREIS. Die Partei Die Linke hatte zur Pflegekonferenz ins Stadeum geladen und rund 80 Teilnehmer aus dem Gesundheitswesen waren gekommen, darunter Elbe-Kliniken-Chef Siegfried Ristau, der zur großen Überraschung im Saal bei den Klagen über die Situation und den Lösungsforderungen Beifall bekundete.

„Ich bin fast mit allem einig, was ich hier gehört habe.“ Klar wurde aber auch: Die Problemlage bei der Pflegekrise ist komplex.

 

Die Ausgangslage: Bundesweit klagen die Pflegekräfte in den Kliniken und Altenheimen über die hohe Arbeitsbelastung und die schlechte Bezahlung. Die seit 25 Jahren gesunkene Verweildauer von Patienten in den Kliniken hat die Intensität der Pflege verdoppelt. Die Liegezeit wurde halbiert, bei einem gleichzeitigen Patientenanstieg um zwei Drittel. In Deutschland betreut eine Pflegekraft 2,5 Mal so viele Patienten wie in den USA oder Norwegen. Die Anzahl der Pflegekräfte pro Tausend Einwohnern liegt in Japan bei 53 Kräften, in Deutschland am Ende der Statistik bei 19, knapp vor Ungarn. Dazu kommt: Bundesweit fehlen 162 000 Vollzeitstellen, die Pflegeberufe gelten als unattraktiv.

 

„Die Pflegeberufe sind seit Jahren vernachlässigt und seit Mitte der neunziger Jahre sind die Kliniken unterfinanziert– das Elend setzt sich fort“, sagt Kai Holm, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Elbe Kliniken. Die Problemlage löst eine Kettenreaktion aus: In den Alten- und Pflegeheimen fehlt Personal. „In den Abendstunden gibt es die meisten Stürze“, klagte der Rettungsassistent Per Röscher. Die Folge: Mehr Einsätze für die Rettungsdienste, mehr Patienten in den Notaufnahmen und die Rettungswagen werden blockiert für Notfalleinsätze, teilweise auch durch Verlegungs-Transporte.

Die Lage in den Elbe Kliniken: Kai Holm, Gesamt-Betriebsratsvorsitzender und Kreistagsabgeordneter und Ratsherr der SPD in Stade mochte an diesem Vormittag keine Doppelrolle spielen und nur als Betriebsrat (mit 73 Prozent wurde er gerade wieder gewählt) sprechen: „Das Pflegepersonal ist ein Kostenfaktor auf zwei Beinen.“ Zwar seien die Planstellen in den vergangenen zehn Jahren stetig gestiegen, allerdings sei die Arbeitsbelastung noch mehr gestiegen.

„Wir suchen händeringend Fachkräfte, aber es gibt diese Menschen nicht.“

Siegfried Ristau, Geschäftsführer der Elbe-Kliniken, der eigentlich als Gegenpart eingeladen wurde, pflichtete den Klagen weitgehend bei. Zwar sei seit 2006 das Personal in seinen Kliniken um 45 Prozent gestiegen, gleichzeitig habe sich die Belastung enorm intensiviert. In der Pflege hätten 2017 durchschnittlich 35 Stellen nicht besetzt werden können. „Wir suchen händeringend Fachkräfte, aber es gibt diese Menschen nicht.“ Derzeit seien 50 Pflegekräfte im Elbe Klinikum erkrankt, geplante Operationen müssten mitunter abgesagt werden. Ristau: „Die Situation ist dauerhaft nicht erträglich, ich weiß das.“ Und: „Wir sind an einem Punkt, der langsam kippt.“

Das sagen die Betroffenen: „Ich merke nicht, dass mehr Personal auf den Stationen angekommen ist, im Gegenteil“, sagte Birgitta Rathjens, die seit 40 Jahren in den Elbe Kliniken tätig und auch Betriebsrätin ist. „Ich sehe die 45 Prozent nicht.“ Stefanie Bauermeister, Krankenschwester seit 1983 sagt: „In den letzten fünf Jahren wird nur noch abgeliefert. Wir arbeiten nur noch ab. Das macht den Frust, schlechtere Ärzte, weniger Visiten, wenn man kritisch ist, wird das nicht belohnt. Mein Gefühl ist: „Wir fahren das System an die Wand.“ „Wir haben mehr Patienten und eine kürzere Verweildauer“, gestand Ristau zu. „Ich möchte das nicht schönreden, ich weiß, dass die Arbeitsbelastungen langsam nicht mehr akzeptabel sind.“

Die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte ist ein wesentlicher Kritikpunkt

Die Finanzierung: Die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte ist ein wesentlicher Kritikpunkt der Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi. Die Rückkehr in den Tarif des Öffentlichen Dienstes ist eine der zentralen Forderungen. Kai Holm fordert: „Tarif für alle Beschäftigten in den Kliniken und eine bessere Eingruppierung, gesetzliche Personalbemessung und eine neue gesetzlich geregelte Finanzierung.“

 

Der Haustarifvertrag der Elbe Kliniken liegt rund zwölf Prozent unter der Bezahlung des allgemeinen Tarifvertrages. Rund fünf Millionen Euro jährlich würden die Elbe Kliniken für diese Rückkehr zusätzlich bezahlen müssen. Ristaus Beispielrechnung: Der Jahresabschluss 2017 endet voraussichtlich mit einem Gewinn von 1,4 Millionen Euro, bei 72 Millionen Euro Personalkosten. Bei einer Erhöhung um zwei Prozent sei der Gewinn aufgebracht, tatsächlich gibt es ab 1. April eine Erhöhung um 2,5 Prozent für die 3500 Beschäftigten. Ristau: „Die Dinge sind komplexer, als viele glauben. Das Ganze sei am Ende eine Mischung, zwischen Personalaufbau und Gehaltserhöhung.“ Mehr Personal bedeute letztlich immer auch weniger Bezahlung. Ristau: „Wir gehen damit an die Grenze der Verantwortlichkeit.“

Die Linke fordert Rückkehr in die Tarifbindung

Die Lösungen: Benjamin Koch-Böhnke, Gastgeber der Pflegekonferenz und Fraktionschef der Linken im Kreistag machte das Ziel seiner Partei deutlich: „Wir wollen in die Tarifbindung zurück.“ Weil das jährlich rund fünf Millionen Euro kostet, schlagen Die Linken vor, die Kreisumlage zu erhöhen, die die Städte und Kommunen an den Landkreis zahlen. „Die Gesellschaft muss sich Pflege leisten“, meint der Kreistagsfraktionschef der Linken. Kai Holm, der für die SPD im Kreistag sitzt, pflichtete bei: „Ich kann das nur unterstützen, weiß aber, dass ich auch in meiner Partei dafür nicht unbedingt Unterstützung bekomme.“

 

Verdi-Gewerkschaftssekretärin Erika Czerny-Gewalt sprach sich für eine Umverteilung der Gelder im Gesundheitswesen aus. „Deutschland ist ein reiches Land, aber die Gelder kommen nicht bei denen an, die sie verdienen.“ Auch sie beklagte die Privatisierung der Altenpflege und der Kliniken. „Die Uhr steht auf zwölf, und wir werden am Ende ziemlich dumm dastehen, weil sich niemand um uns kümmert.“

Koalitionsvertrag benennt Verbesserung der Pflegesituation

Eine Hoffnung kommt aus der Politik, denn im Koalitionsvertrag wird eine Verbesserung der Situation der Pflege ausdrücklich benannt, die Tarifsteigerungen sollen von den Krankenkassen an die Kliniken bezahlt werden, steht im Vertrag von CDU und SPD. „Viel zu schwammig“, sagt Kai Holm, denn die Frage sei, ob diese Gelder nur bezahlt werden, wenn es eine Rückkehr in den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes gebe. Holm: „Wer zahlt uns diese fünf Millionen?“ Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Zaklin Nastic, sagt: „Im Koalitionsvertrag stehen gute Dinge, aber die sind nicht weitreichend.“ Ihre Partei werde Initiativen starten, um die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen zu verändern. Dazu gehöre unbedingt auch die bessere Bezahlung.

Ein zweiter Lösungsansatz könnten die Untergrenzen für die Pflegekräfte auf den Stationen sein, die derzeit in der Politik diskutiert werden. „Unbedingt notwendig“, sagt Christoph Kranich (Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus), der in dieser Woche einen „Volksentscheid gegen Pflegenotstand und für eine gute Versorgung im Krankenhaus“ in Hamburg mit auf den Weg gebracht hat. Doch Siegfried Ristau warnt: Die Untergrenzen seien „gut gemeint“, aber auch gefährlich, denn die Krankenkassen pochen auf das Gesetz und finanzieren nur das, was sie finanzieren müssen. Ristau: „Meine Sorge ist, dass die Untergrenze dokumentiert wird und die Krankenkassen am Ende nur das bezahlen müssen, also weniger wie bisher.“

Das Grundsatzproblem für die Elbe Kliniken: Es gibt zwei Säulen der Finanzierungen: Die Investitionen werden vom Land und der Betrieb der Klinik über die Pflegesätze der Kassen bezahlt. Diese Pflegesätze sind in den Ländern unterschiedlich, in Hamburg wesentlich höher als in Niedersachsen. Aber: Das Land trägt zwar jetzt die gut über 100 Millionen Euro für die große Sanierung der Elbe Kliniken – aber nur zu 80 Prozent. Zwanzig Prozent müssen die Kliniken selbst finanzieren – aus den laufenden Betrieb mit den Einnahmen der Krankenkassen.

„Eine GmbH ist nicht automatisch ein gewinnorientiertes Unternehmen“

Die GmbH-Debatte: Die Linken, aber auch Verdi, möchten die Elbe Kliniken aus der Rechtsform der GmbH wieder zurück in das Management von Stadt und Kreis führen. Koch-Böhnke: „Gesundheit gehört in die öffentliche Hand und die GmbH in den Papierkorb.“ Siegfried Ristau kontert: „Eine GmbH ist nicht automatisch ein gewinnorientiertes Unternehmen, wir sind zu 100 Prozent ein kommunales Unternehmen, wir sind nicht gewinnorientiert, was wir erwirtschaften wird immer re-investiert, eine Gewinnorientierung im Gesundheitswesen halte ich für falsch.“

Die gute Nachricht am Rande: Nach der TAGEBLATT-Berichterstattung im Januar über die Probleme in der Notaufnahme am Elbe Klinikum Stade, hat sich die Praxis verändert. Die Notaufnahmen – auch in Buxtehude – werden nicht mehr dauerhaft „abgemeldet“ und sind für die Rettungsdienste immer erreichbar, sagten übereinstimmend Teilnehmer der Pflegekonferenz.

 

Eine bemerkenswerte Konferenz

Ein Kommentar von Wolfgang Stephan

Das war nicht zu erwarten: Das Klinik-Manager Siegfried Ristau zu denen geht, die in diesen Tagen zu den schärfsten Kritikern der Zustände in den Elbe Kliniken gehören, war schon im Vorfeld überraschend. Dass bei dieser Konferenz mit vielen Betroffenen, Politikern und Funktionären letztlich keine bösen Worte zu hören waren, ist ebenfalls bemerkenswert.

Letztlich aber auch folgerichtig, denn nicht Siegfried Ristau ist für den Notstand der Pflege am Elbe Klinikum verantwortlich. Das System im Gesundheitswesen ist krank. Zugegeben, ein platter Satz, dennoch immer noch nicht falsch.

Ob GmbH oder kommunales Unternehmen – das ist nur eine Randfrage: Entscheidend ist die Finanzierung im Gesundheitswesen und da stimmen die Verhältnisse seit Jahren nicht. Weil die Herrschenden in Berlin es schlicht nicht schaffen, die Lobbyisten in diesem komplexen Milliadengeschäft in den Griff zu bekommen. Mit der Folge, dass die ohne einflussreiche Lobby agierenden Pflegekräfte am Ende das Dilemma ausbaden müssen.
Das Schlimme dabei: Das wissen alle, aber nur wenige tun etwas.

So ganz am Rande fielen gestern zwei bemerkenswerte Sätze: „Mein Dank an die Linke, ihr kümmert Euch um die Pflege“ – das sagte der SPD-Politiker Kai Holm. Recht hat er.
Und in die gleiche Richtung ging die Aussage von Josepha Meyer, die als Betriebsrätin jahrelang mit im Aufsichtsrat der Elbe Kliniken gesessen hatte: „Im Aufsichtsrat war es schwer, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten.“ Wohlgemerkt, ein Gremium vor Ort, besetzt von örtlichen Politikern, vor allem von CDU und SPD. Von denen war gestern niemand im Stadeum. Schade.

Damit nicht alles so düster klingt: In Hannover regiert eine Große Koalition und jetzt auch in Berlin. CDU und SPD haben es in der Hand, die Situation der Pflegekräfte zu verbessern. Und deswegen muss es den Druck von der Basis geben.

Das sind übrigens nicht nur die Beschäftigten, denn wer als Patient im Krankenhaus liegt, ist womöglich noch mehr vom Pflegenotstand betroffen als jede Krankenschwester. Es ist schon so: Der Personalmangel im Krankenhaus gefährdet unsere Gesundheit.