Mehr Menschen von Armut betroffen als gedacht

kvstade

Was viele insgeheim schon ahnten, ist jetzt wissenschaftlich belegt: Wohnen macht arm. Omas Faustregel lautete einst „Gib nie mehr als ein Drittel deines Einkommens für Miete aus!“ Diese Ein-Drittel-Regel gilt bis heute zum Beispiel bei Maklerbüros, um zu beurteilen, ob sich jemand eine Wohnung überhaupt leisten kann. Aber die Mieten steigen schneller als die Einkommen. Viele Menschen müssen deswegen heute viel mehr als ein Drittel fürs Wohnen ausgeben – manche sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens. Denn hier haben die Menschen kaum die Wahl. Sie können oft nicht billiger wohnen, weil sie nicht die einzigen sind, die nach einer billigeren Wohnung suchen oder weil es da, wo sie arbeiten und leben, keine billigeren Wohnungen gibt.

Infolgedessen müssen sie einfach mit weniger Geld auskommen. Die neue Paritätische Wohnarmuts-Berechnung macht ein bislang unsichtbares Ausmaß der Armut sichtbar.

In Deutschland gilt (gemäß der OECD-Konvention) derjenige als armutsgefährdet, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat. Median meint dabei, dass alle Einkommen wie Orgelpfeifen aufgereiht werden und die mittlere Größe, also die Orgelpfeife in der Mitte, bildet den Median. Die Armutsrisikogrenze liegt dann bei 60 Prozent des Medians.

Nach konventioneller Berechnung sind in Deutschland 14 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Berücksichtigt man aber die Wohnkosten und ermittelt das Einkommen, das die Menschen tatsächlich zum Leben frei verfügbar haben, nachdem sie ihre Wohnkosten (Warmmiete inklusive Stromkosten) bezahlt haben, dann ergibt sich ein anderes Bild.

Das Ausmaß der wohnkostenbereinigten Armut ist viel höher: Dann sind 5,4 Millionen Menschen mehr von Armut betroffen als gedacht. In den konventionellen Statistiken waren sie bislang unsichtbar. Insgesamt sind 21 Prozent der Bevölkerung, also 17,5 Millionen Menschen in Deutschland von Wohnarmut betroffen. 

So fällt die Wohnarmut bei alleinstehenden Menschen über 65 Jahren mit rund 42 Prozent und bei Alleinerziehenden mit 36 Prozent besonders hoch aus.

Die Erkenntnisse der Expertise unterstreichen, wie sehr die Bundesregierung in der Pflicht steht, entschieden gegen den rasanten Anstieg der Mieten vorzugehen.