Volles Haus bei Stader Linken: Christoph Butterwegge über Arme und Hyperreiche

ST | A. Richter

Stade. Die 60 Sitzplätze im Saal des Hotels Zur Einkehr reichen nicht. Viele stehen deshalb an den Wänden oder setzen sich auf die Fensterbänke, um dem Vortrag des Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge zuzuhören. Er ist der wohl bekannteste Armutsforscher Deutschlands und kandidierte für die Linke 2017 sogar für das Amt des Bundespräsidenten. „Im Oktober, als wir ihn gebucht haben, lagen wir in den Umfragen bei drei Prozent und dachten, wir brauchen einen zugkräftigen Referenten, um für die Linke zu werben“, erklärt Schatzmeister und Mitgliederbetreuer Peter Exner.

 

Doch plötzlich hat die Linke ganz andere Schwierigkeiten: Vor kurzem hatte der Kreisverband 50 Mitglieder, jetzt sind es 158. Ausreichend große Räume zu finden, ist ein ständiges Problem. Bei Butterwegge ist es vielleicht aber auch ein zugkräftiges Thema gewesen: Armut. Die sei immer Teil eines größeren Problems, nämlich sozioökonomischer Ungleichheit, sagt der Professor und zitiert Bertolt Brecht: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“

Wer über Armut spricht, muss sich deshalb mit Reichtum beschäftigen, sagt Butterwegge. Deshalb nennt er sich nicht nur Armuts-, sondern auch Reichtumsforscher. Wenn er dazu referiert, klingt das manchmal wie Monopoly:

  • Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen 67,3 Prozent des Nettogesamtvermögens.
  • Das reichste 1 Prozent besitzt rund 35 Prozent des Vermögens.
  • Die 5 reichsten Familien besitzen zusammen mehr als 250 Milliarden Euro und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung.
  • Die 5 reichsten Menschen/Familien sind: 1. Dieter Schwarz (Lidl-Gründer), 2. Klaus-Michael Kühne (Logistikunternehmer), 3. Reinhold Würth („der Schraubenkönig“), 4. Susanne Klatten (BMW-Erbin, Großaktionärin), 5. Stefan Quandt (Großaktionär).

Butterwegge nennt diese Menschen nicht die Superreichen, sondern die Hyperreichen, um die Unverhältnismäßigkeit auszudrücken. Er weist darauf hin, dass Klaus-Michael Kühne letztes Jahr allein aus seinen Hapag-Lloyd-Aktien eine Dividende von 3,3 Milliarden Euro erhielt. Dafür würden 25 Prozent Kapitalertragssteuer fällig - wenn der Hamburger Unternehmer nicht in der Schweiz lebte: „Und so hat er das Geld, Hamburg ein Opernhaus zu stiften und sich als Mäzen feiern zu lassen.“

Das ist das, was Butterwegge unter Reichtum versteht: dass jemand ein so großes Vermögen hat, dass er allein von den Erträgen daraus auf hohem Niveau sorglos leben kann. Den Armuts- (und Reichtums-)bericht der Bundesregierung kritisiert er, weil der davon ausgeht, das schon derjenige reich ist, der über mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens verfügt.

„Die Ungleichheit ist Gift für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagt Butterwegge. Ihm wurde es schon zu viel, als unter Kanzler Schröder die Agenda 2010 kam und mit ihr die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Legalisierung der Leiharbeit und die Minijobs. Er, der schon als Juso in der SPD aktiv gewesen war, trat aus. „Mit Hartz IV kam eine soziale Kälte, die einen sozialen Klimawandel eingeleitet hat“, sagt er heute.

Armutsgefährdet ist laut Statistischem Bundesamt, wer als Alleinstehender weniger als 1189 Euro im Monat hat - 16,8 Prozent haben weniger. Armutsgefährdung, sagt Butterwegge, sei „ein Begriff, der verschleiert“. Von Armut sei nie die Rede. Natürlich sei Armut in Köln - seiner Heimatstadt - nicht mit Armut in Kalkutta vergleichbar. Doch relative Armut könne deprimierender und demoralisierender sein, weil sie Menschen sozial ausgrenze: „Wer in Nairobi im Slum lebt, muss sich nicht rechtfertigen, aber in Deutschland gibt es die ‚Agenda der Fleißigen‘ der CDU, die den Armen die Schuld für die Probleme in die Schuhe schiebt.“

Was tun? „Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten“, sagt Butterwegge. Sie könnten erstklassige Medizin, Kinderbetreuung und Schulen privat bezahlen. Seine Vorschläge für eine gerechtere Gesellschaft: 15 Euro Mindestlohn, Tarifverträge, Reregulierung des Arbeitsmarkts, Verbot der Leiharbeit und eine solidarische Bürgerversicherung, in die auch Vielverdiener, Unternehmer und Beamte einzahlen.

Er fordert eine Umverteilung des Reichtums durch Steuern inklusive einer Vermögensabgabe von 10 Prozent für sehr Reiche, die in den Ausbau von Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur fließt. Es überrascht nicht, dass er bei der Umsetzung seiner Vorschläge wenig Hoffnung in die schwarz-rote Regierungskoalition setzt.

Aktuelle Bücher von Prof. Dr. Christoph Butterwegge:

  • „Umverteilung des Reichtums“, Papyrossa 2025.
  • „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung“, Beltz Juventa 2025.