Stade: Lautstarker Protest gegen die Küstenautobahn

Von Daniel Beneke

STADE. Friedlich und bunt, aber nicht minder leise war am Sonnabend der Protest gegen die Autobahnen A 20 und A 26 in Stade. Rund 200 Menschen zogen mit Fahnen und Bannern durch die Innenstadt, skandierten Sprechchöre und sangen Lieder. Auch mit Kritik sparten sie nicht.

(Letztes Update am 28. August um 17.16 Uhr: Details zur Demo und Bildergalerie hinzugefügt.)

„Es ist ein Wahnsinn, dass so etwas im Jahr 2021 noch geplant und gebaut wird“, sagte Rednerin Sophia Marie Pott von Fridays for Future Schleswig-Holstein am Sonnabendmittag bei der Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsparkplatz an der Hospitalstraße. Neben den jungen Öko-Aktivisten hatten unter anderem auch Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände sowie Linke und Grüne zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Vor 2030 werde auf der Küstenautobahn kein Auto fahren – das sei eine Zeit, „in der wir der Klimaneutralität schon ins Auge schauen“, sagte Pott.

Mehr Lieferverkehr bedeute mehr klimaschädliches Kohlenstoffdioxid. Dass für den Bau der Autobahn ausgerechnet Moore, die Kohlenstoffdioxid speichern, vernichtet würden, sei nicht zu akzeptieren. „Wir müssen das schützen, was wir haben“, sagte Pott unter dem Applaus der Teilnehmer. Nach Schätzungen der Polizei kamen rund 200 Menschen, die Veranstalter sprachen von bis zu 300 Teilnehmern. Das Geld für Planung und Bau der A 20 – Pott sprach von sieben Milliarden Euro – sei im sozialökologischen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft besser angelegt.

„Scheuer raus“ skandierten die Teilnehmer

„Wir brauchen endlich eine Politik, die die Realität ernst nimmt“, sagte ihr Mitstreiter Philipp Bravos von Fridays for future Buxtehude. „Wir müssen uns von diesem Autobahn-Fetisch verabschieden. Wir müssen das nicht mitmachen, wir haben Alternativen.“ Er nannte, bezugnehmend auf einen TAGEBLATT-Artikel aus der vergangenen Woche, als Beispiel die Idee der klimaneutralen Elbfähre.

Über die Hansebrücke und die Wallstraße führte der Protestzug in die Neubourgstraße, wo die Autobahn-GmbH des Bundes ihren Sitz hat. Die neue Behörde ist für die Planung und Realisierung der hiesigen Autobahnprojekte zuständig. Die Teilnehmer der Demonstration machten deutlich, was sie von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) halten: „Scheuer raus“, brüllten sie und: „Was haltet ihr von Andi Scheuer? Was der macht ist schlecht und teuer!“ Auch sein parlamentarischer Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU), Bundestagsabgeordneter aus Cuxhaven, bekam sein Fett weg: „Enak Ferlemann auf den Mond – das ist Raumfahrt, die sich lohnt.“

Kritik an der Autobahn-GmbH

Die Autobahn-GmbH arbeite extrem intransparent und verschwende 99 Millionen Euro für externe Berater, sagte Landesvorstand Svenja Appuhn von der Grünen Jugend Niedersachsen. Menschen ohne Auto würden alleine gelassen. Die Bahn werde vernachlässigt, hier gebe es noch Stellwerke aus der Kaiserzeit. Das Verkehrsministerium steuere „mit Vollgas in die Klimakrise“. Scheuer, Ferlemann & Co. würden mit ihrer rücksichtslosen Politik die Lebensgrundlage nachfolgender Generationen zerstören: „Sie zeigen uns jungen Menschen den Mittelfinger.“

„Kein Ministerium macht so viele Probleme wie das Verkehrsministerium“, sagte der Spitzenkandidat der niedersächsischen Linken, Viktor Perli, am Rande der Demonstration dem TAGEBLATT. Er ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und Berichterstatter für seine Fraktion zum Thema Verkehrspolitik.

Rad und Bahn statt Autobahn

Was die Demonstranten sich anstelle neuer Autobahnen wünschen, machten sie auf dem Weg durch die Innenstadt zur CDU-Kreisgeschäftsstelle in der Poststraße deutlich. „Rad und Bahn – guter Plan“, hieß es, während der Protestzug unter Polizeibegleitung jenes Gebäude ansteuerte, das auch die Abgeordnetenbüros der Bundestagsabgeordneten Oliver Grundmann und Enak Ferlemann sowie der Landtagsabgeordneten Kai Seefried und Helmut Dammann-Tamke beherbergt. Schauspieler Tristan Jorde hielt hier eine „Lesung aus dem Buch des Propheten Enak“ ab und präsentierte die aus Sicht der Organisatoren der Demonstration nicht eingehaltenen Versprechen des Staatssekretärs. Jorde warf Ferlemann vor, „eine verheerende Klimapolitik zu betreiben“.

Die Bedeutung der Moore stellten die Redner – unter ihnen der Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland in Niedersachsen, Heiner Baumgarten – bei der Abschlusskundgebung vor dem Museum Schwedenspeicher heraus. An einem Informationsstand gab es Flyer und Demonstrationsdevotionalien wie Protestschilder zu kaufen. Während es zunächst weitgehend trocken blieb, ließ ein kräftiger Regenschauer die Demonstranten schnell den Heimweg antreten.

Drei Fragen an Viktor Perli (Linke)

Warum sind Sie bei der Demonstration in Stade dabei?

Es ist großartig, wie viele Menschen hier zusammen gegen die A 20 auf die Straße gehen. Als Berichterstatter für das Verkehrsministerium im Haushaltsausschuss des Bundestages weiß ich, dass es sich um ein sehr teures Projekt handelt. Aus unserer Sicht droht hier das nächste Milliardengrab von Minister Andreas Scheuer. Es ist aus der Zeit gefallen und mit sechs Milliarden Euro viel zu günstig geplant. Es kommt vielen Menschen in der Region gar nicht zu gute. Das größte Autobahnprojekt Deutschlands gehört auf den Prüfstand. Aber ich bin auch hier, um die örtlichen Kommunalwahlkandidaten zu unterstützen.

Was sollte sich in der Verkehrspolitik denn ändern?

Wir müssen die Alternativen stärken. Ich bin kein Autogegner, komme selbst aus dem ländlichen Raum von Wolfenbüttel. Wir brauchen gute Autoverkehrsverbindungen, müssen aber erst einmal die bestehenden in den Fokus nehmen. Mehr Straßen bedeuten auch mehr Kosten bei der Instandhaltung. Wir müssen mehr Verkehr auf die Schiene bringen und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) günstiger machen und besser takten. Dann haben die Menschen die Möglichkeit, öfter ihr Auto stehen zu lassen. Das ist der Auftrag an die Politik. Perspektivisch sollte es einen kostenfreien ÖPNV geben, wie zum Beispiel unser Nachbarland Luxemburg ihn inzwischen eingeführt hat.

Wie schätzen Sie die Chancen eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses im Bund ein?

Wir sind angetreten, um zu verändern. Wenn es die Mehrheiten dafür gibt, muss darüber verhandelt werden. Grüne und SPD werden viele Versprechen nur in einer Koalition mit uns umsetzen können, nicht aber mit der FDP – denken Sie an die Erhöhung des Mindestlohns oder eine Besteuerung von Superreichen. Mehr Gerechtigkeit gibt es nur in Zusammenarbeit mit den Linken. Ein Politikwechsel ist dringend notwendig. Es gibt eine Menge zu tun.