Linke-Kandidat Marlon Borchers: „Ich bin ein radikaler Demokrat“

Von Susanne Helfferich (Stader / Buxtehuder Tageblatt)

Er ist 23 Jahre alt, Vater eines fünf Monate alten Sohnes, studiert Sozialökonomie und will in den Landtag. Marlon Borchers tritt für die Linke an. Wofür er steht und was ihn motiviert.

Nach dem Bild auf seinem Wahlplakat mit weißem Hemd und dunklem Jackett würde man ihn eher der Jungen Union zuordnen. Wenigstens der Schlips ist rot. Doch Marlon Borchers macht sehr schnell deutlich: „Ich bin ein radikaler Demokrat.“ Mit mehr Demokratie gehe immer gesellschaftlicher Fortschritt und höhere Lebensqualität einher, sagt der Student und verweist auf die skandinavischen Länder.

Er wünscht sich eine stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen, aber auch in der Wirtschaft. Unternehmen sollten von der Belegschaft oder genossenschaftlich geführt werden, sagt er und verweist auf Spanien, etwa die Mondragon-Genossenschaft.
Zwei Jahre Mitglied bei der SPD in Himmelpforten

Aufgewachsen ist Marlon Borchers in Bossel bei Oldendorf. „Ich habe mich als Schüler für Geschichte interessiert und festgestellt, dass geschichtliche Ereignisse immer politische Hintergründe hatten.“ So kam er zur Politik; zunächst zwei Jahre in der SPD in Himmelpforten. Mit dem Umzug in die Universitätsstadt Göttingen stellte er fest, dass es innerparteilich meist um Posten ging, weniger um Inhalte. Daher trat er wieder aus.

Doch damit endete nicht sein politisches Interesse. „Ich bin linksdenkend, und ich möchte eine bessere Welt hinterlassen als die, in die ich geboren wurde“, sagt der 23-Jährige. Er protestierte mit Fridays for Future und trat im März 2021 den Linken bei. Warum nicht die Grünen? „Die haben keine schlechten Positionen, aber seit sie in Regierungsverantwortung sind, lassen sie sich von Christian Lindner treiben.“

Wie die Grünen sieht auch Borchers die Energiewende als dringlichstes Projekt. Sie könne nicht nur das Klima retten, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. Photovoltaikanlagen und Solarkollektoren müssen produziert, installiert und gewartet werden. Ebenso Windenergieanlagen. Davon profitierten Industrie und Handwerk und letztlich der Staat durch Steuereinnahmen. Ein ähnlicher Jobmotor könne die Sanierung der Infrastruktur von Straße und Schiene sein. Doch dazu müsse die Schuldenbremse aufgehoben werden, damit Kommunen und Länder investieren können. „Sparpolitik in der Krise hat nie funktioniert“, sagt der angehende Sozialökonom und verweist auf die Deflationspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning Anfang der 30er Jahre.

Auch in der Energiewirtschaft setzt er auf regionale genossenschaftliche Lösungen. „Bürgerwindparks schaffen Akzeptanz“, und die sei notwendig bei der Energiewende. Außerdem: „Wir dürfen das Gemeinwohl nicht der Privatwirtschaft überlassen“, sagt der 23-Jährige und zählt dazu „grundlegende Dinge wie Energie, Gesundheitsversorgung, ÖPNV und Wasser“.

Auf die Länderebene zurückgeholt, kommt er auf VW zu sprechen. Das Land habe 20 Prozent der Anteile. Damit habe es großen Einfluss. Das Land könne die Kompetenz des Konzerns bündeln, um E-Busse für den ÖPNV zu entwickeln. Außerdem müsse in die Schulen und Universitäten investiert werden: „Es ist ein Unding, dass noch immer Lehrer über die Sommerferien entlassen werden. Das macht den Beruf nicht attraktiver.“ Auch müsse sich der Pädagogik- und Didaktikanteil im Studium erhöhen und Vertretungssicherheiten im Schulalltag geschaffen werden. Außerdem möchte der Linke „eine Schule für alle“. „Die wurde auch von den Alliierten nach 1945 gefordert, weil das dreigliedrige Schulsystem die Untertanmentalität unterstützt habe.“

Auch die Erzieherausbildung müsse verändert werden, damit den Kindertagesstätten mehr Personal zur Verfügung steht. „Es war mir lange nicht bewusst, dass die Ausbildung für einen so gefragten Beruf nicht bezahlt wird“, sagt Marlon Borchers. Mit der Geburt des Sohnes ist er in der Realität vieler Menschen angekommen. Die Familie lebt von BAföG, seinem Mini-Job, Elterngeld und Wohngeld. Seine Frau unterbrach mit der Schwangerschaft ihre Ausbildung zur Sozialassistentin. Ob sie wieder einsteigt, ist angesichts der prekären Situation fraglich.